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Mittwoch, 11. Juli 2007

Milonguero und so

Hier meine Erörterungen über Engtanzen verschiedener Art. Der Text ist beim Phantastango 2007 entstanden, inspiriert haben mich ein paar Milongueros mit denen ich dort getanzt habe. An die richtete sich der Text ursprünglich, in Briefform.
Zunächst etwas zur Terminologie: ich unterscheide hier zwischen vier Sorten Engtänzern: Milongueros, moderne, schlechte bzw. indifferente und "kenne ich noch nicht". (Ich gehe meistens davon aus, dass es Dinge gibt die ich noch nicht kenne, besonders wenn ich über Tango rede. Dass ich das hier nochmal explizit erwähne soll den provisorischen Status dieses Machwerks unterstreichen.)
Interessant für die Betrachtungen sind erstere beide Sorten. Eigentlich mag ich Begriffsbestimmungen per Beispiel gar nicht aber erstens um den Ausgangspunkt zu verdeutlichen (vielleicht wiedersprecht ihr mir in den Prämissen) und zweitens um es konkret vor Augen zu haben, unter Milonguero verstehe ich sowas wie http://www.youtube.com/watch?v=qcTpuRWbvQc (Oscar & Mary Ann Casas), für moderne Tänzer habe ich länger gesucht und viele schöne Filme gefunden, dummerweise tanzen die nie eine ganzes Lied eng. Hier ein paar Beispiele:
http://www.youtube.com/watch?v=r9yE-DLYwe4 (Pablo Inza und Moira Castellano),
http://www.youtube.com/watch?v=rpO0nvCwKEM (Pablo Villarraza und Dana Frigoli),
http://www.youtube.com/watch?v=tGZv6rSRvTo (Chicho und Eugenia Parrilla) Ja, ich liebe Canaro.
Was sind also wesentliche Unterschiede zwischen Milongueros und modernen Engtänzern, abgesehen davon dass letztere oft nicht das ganze Lied lang kuscheln? Mir sind folgende aufgefallen: Die Umarmung, die Hüfte der Frau und die Füße inkl. Schuhen.
Moderne Tänzer (wenn sie eng tanzen) umarmen sich oft viel weiter unten als Milongueros. Die linke Hand der Frau darf je nach Geschmack auch öfter die Position ändern, sie wird zum Führen ja nicht benötigt. Der rechte Arm des Mannes bildet eine flexible Umarmung die dem Körper der Frau folgt und die Hand befindet sich je nach Geschmack oft an der Taille der Frau. Ein schönes Beispiel dafür ist Matias Facio. Milongueros hingegen behalten die stabile
Umarmung die sie zu Beginn des Liedes eingenommen haben in der Regel bei und in vielen Fällen gibt die Berührung am Arm der offenen Seite (Dame rechts, Herr links) zusätzliche Stabilität.
Milongueras bewegen die Hüfte meistens etwa in dem Umfang von Männern, unter modernen Tänzern ist das idealer weise nicht unerheblich mehr. Eugenia Parrilla übertreibt es stets etwas, wenn ihr sie seht wisst ihr was ich meine.
Unter Milongueros gibt es ja die Unart beim vorwärts Laufen mit dem Ballen zuerst aufzutreten und in der Tat gibt es einige wenige Leute auf dieser Erdenscheibe die so besser laufen können, bei der überwiegenden Mehrheit der Menschheit sieht es fürchterlich künstlich und einfach nicht wie Laufen aus. Glücklicherweise tun das aber nur wenige Männer, bei den Damen hingegen ist es gang und gäbe den ganzen Titel auf den Ballen zu verbringen, was physiologisch betrachtet eine Katastrophe ist. Unsere Füße sind so konstruiert dass es clever ist beim Stehen das Gewicht zu 90% auf den Fersen zu haben (behaupten die Leute von Birkenstock). Warum tun sie es dann so? Bei modernen Tänzerinnen ist das anders: die benutzen ihren Absatz idealer weise sooft sie können zum drauf stehen. Damit hängt zusammen, dass Milongueras in der Regel traditionelle Tanzschuhe tragen mit ca. 6 cm Absatzhöhe, moderne Tänzerinnen Comme il fauts (http://www.youtube.com/watch?v=0dL5rRDmOYc) oder ähnliches. Letztere sind auf Bequemlichkeit nicht so angewiesen weil sie mit der physiologisch günstigeren Technik laufen und sind eher an Evolutionspunkten interessiert bzw. gibt es auch viele moderne Tänzerinnen die mit weniger als 8 cm Absatz behaupten nicht richtig tanzen zu können. Meine Lieblingserklärung dafür ist, dass bei sehr hohen Schuhen die Fußhaltungen für (auf dem Absatz) Stehen und Drehen sehr nahe bei einander liegen. Ich kann aus eigener Erfahrung sagen, dass es sich mit 10 cm-Absätzen ausgezeichnet tanzt.
Jetzt frage ich mich natürlich nicht nur was es sonst noch für Unterschiede gibt sondern auch ob es eine einzelne Ursache gibt die für diese Unterschiede verantwortlich ist oder ob es rein stilistische Fragen sind. Für letztes sprechen Tänzer wie Robin Thomas (New York), die für moderne Tänzer stilistisch sehr traditionell tanzen oder die Mehrheit der Deutschen bei denen es eher umgekehrt ist (sorry, sehr steile These). Ich glaube eine Erklärung zu haben warum sich Milongueras den Stress machen auf den Ballen zu laufen und woher moderne Tänzerinnen die Zeit nehmen beim Tanzen auch noch mit dem Arsch zu wackeln. Die ist mir gekommen als ein Herr mir gegenüber eine Dame lobte mit der Beschreibung sie sei extrem schnell. Die Reaktionszeit ist für mich
zwar auch ein Kriterium aber viel wichtiger ist mir, dass sich die Führung gleichmäßig und möglichst immer gleich schnell im Körper ausbreitet. Und hier haben wir das ausschlaggebende Kriterium für den Unterschied: beim Estilo Milonguero braucht man (insbesondere die Dame) die hohe Körperspannung für die Geschwindigkeit, während bei modernen Stilen die Männer einfach früher führen und sich an der Zeit erfreuen die die Führung bis zu den entlegenen Körperteilen (vor allem Füßen) der Frau findet. Auch wenn sie oft sehr schnell tanzen (guckt mal eine Milonga mit Chicho und Lucia Mazer!) nehmen sich moderne Tänzer mehr Zeit, was auch zu neuen Bewegungsmustern führt, z.B. linearen Boleos. Die tiefe Umarmung dient der Erotik und dem Feedback. Unter letzterem verstehe ich die Rückinformation der Dame an den Herren wie weit sie denn mit ihrer Bewegung schon ist, z.B. bei einem Schritt wo genau sie denn ihr Gewicht gerade hat. Das kann sie durch Arschwackeln gut verdeutlichen, besonders wenn der Herr seine Hand nicht über den Rippen sondern an ihrer Taille hat.

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